Der Winter steht vor der Türe. Für viele
Landwirte ist es ruhiger geworden. Das Vieh ist im Tal, die Ernte eingefahren.
Viele Bäuerinnen und Bauern sind gezwungen, einem Nebenerwerb nachzugehen.
Einen solchen finden sie oft im Bereich des Tourismus: Der Landwirt als
Skilift-Angestellter oder Pistenfahrer, die Bäuerin als Snowboard-Lehrerin oder
im Service. Landwirtschaft und Tourismus sind gerade in Berggebieten
aufeinander angewiesen.
Gefährdete Existenzgrundlage
Seit
einigen Jahren hat der Bergtourismus in der Schweiz allerdings einen schweren
Stand: Trotz einer kürzlichen leichten Erholung sind die Übernachtungszahlen in
den letzten zehn Jahren um 43 Prozent gesunken. Während die Anzahl Logiernächte
in Städten sogar zunahm, sank sie in den Bergregionen massiv.
Der Tourismus
aber stellt für die Berggebiete einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar; die
anhaltende Krise führt laut dem Schweizer Tourismus-Verband (STV) dazu,
"dass eine wichtige wirtschaftliche Basis der Berggebiete wegbricht und
damit auch die Existenzgrundlage der Bevölkerung gefährdet ist."
Neue Ideen sind gefragt
Allgemein
hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass neue Ideen gefragt sind, um den
Trend umzukehren. Das können vergünstigte Skiabonnemente für Kinder sein oder
grössere Investitionen in die Infrastruktur, zum Beispiel der Ausbau der
Schneekanonen - in Savognin GR war im November 1978 weltweit die erste
Kunstschneeanlage im alpinen Raum in Betrieb genommen worden. Was die einen
jedoch als wirtschaftlichen Erfolg feiern, ist für andere ein schändlicher Eingriff
in die Natur.
Es braucht die Bergbauern
Argumentiert
wird oft, dass die Touristen in den Bergen nicht in erster Linie Ferien machen,
um sich zu amüsieren, sondern um sich in der intakten Natur zu erholen. Was für
die Wintersaison von Bedeutung ist, gilt erst recht für die übrigen
Jahreszeiten: Während beispielsweise im Glarnerland im Winter die Züge voll
sind mit Menschen, die in Braunwald oder Elm dem Wintersport frönen,
frequentieren in den schneefreien Jahreszeiten zwischen Schwanden GL und Linthal
täglich grössere Gruppen von "Wandervögeln" die Bahnhöfe, die ihre
Freizeit in der unberührten Natur verbringen wollen.
Wer aber
sorgt dafür, dass "Gottes freie Natur" so schön und öffentlich
zugänglich bleibt? Die Antwort ist schnell gegeben: Es sind die Bergbäuerinnen
und Bergbauern, die durch harte Arbeit dafür sorgen, dass das wertvolle
Kulturland erhalten bleibt. Würde auf diese Leistungen verzichtet, käme es zu
einer Vergandung ganzer Regionen. "Wenn die Berglandwirtschaft verschwände",
so Christophe Clivaz, Tourismusexperte und Professor am Institut für Geografie
und Nachhaltigkeit der Universität Lausanne, "würden auch die
Kulturlandschaften verschwinden; der Wald breitete sich aus, die Landschaft
würde verarmen und der Tourismus somit stark an Attraktivität verlieren."
Natur pur versus Adrenalin und Spass
Was aber,
wenn die Gästezahlen weiterhin rückläufig sind? Gelegentlich wird propagiert,
neue Attraktionen zu schaffen, die auf die Bedürfnisse jüngerer Generationen
Rücksicht nehmen, beispielsweise auf die Mountain-Biker.
Vorprogrammiert sind
bei solchen Investitionen allerdings die Einwände der Gegner. Wanderer
befürchten, selbst in abgelegenen Gebieten von einem Veloraser über den Haufen
gefahren zu werden. Um ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen
Nutzergruppen in den Bergen zu unterstützen, wurde im Bündnerland das Projekt
"Fairtrail Graubünden" initiiert.
Keine Beziehung zur Natur
"Im
Kampf um Gästezahlen steigt das Angebot in vielen Tourismusdestinationen
explosiv", so die Alpenschutzorganisation "Mountain Wilderness
Schweiz: "Um neue Kundensegmente in die Berge zu locken, wird die
Infrastruktur auf immer materialintensivere Weise ausgebaut."
Oft gehe es
darum, dem umworbenen Gast möglichst schnell "Adrenalin, Spass und
Aufregung" zu bieten. Das Problem dabei sei jedoch, "dass auf diese
Weise keine Beziehung zur umgebenden Natur aufgebaut wird - für Seilrutschen,
Hüpfburgen und Rodelbahnen ist die Landschaft austauschbar."
Blick in die Zukunft
Seit 2008 unterstützen Bund und Kantone im Rahmen der Neuen Regionalpolitik (NRP) das Berggebiet und den weiteren ländlichen Raum in ihrer regionalwirtschaftlichen Entwicklung. In diesem Zusammenhang wurde Ende 2018 "Visit Glarnerland" gegründet, wo sich die Tourismusorganisationen Braunwald, Elm, Glarus und Glarus Nord zusammengeschlossen haben, um die Vermarkung der Dachmarke Glarnerland gemeinsam zu fördern.
Ein besonderes Augenmerk möchte Marco Baltensweiler, Leiter der Abteilung Landwirtschaft des Kantons Glarus, auf solche Entwicklungen legen, die heute "Megatrends" genannt werden. Dazu gehören die zunehmende Zahl von Menschen in fortgeschrittenem Alter, die Zeit und Geld haben, um ihre Freizeit in einer ihnen angepassten Umgebung zu verbringen ("Silver Society"), aber auch die wachsende Tendenz, im Einklang mit der Natur leben zu wollen ("Neo-Ökologie") sowie die "Slow Culture", nach dem Motto: "Entschleunigung liegt im Trend - als bewusstes Gegengewicht zum digitalen Alltag."
Zusammenarbeit und Vernetzung
Viele Institutionen, die sich mit dem Thema befassen, sehen die Lösung deshalb darin, einen Bergtourismus anzustreben, der einerseits die Schönheiten der Natur bewahrt und anderseits die regionalen, kulturellen und landschaftlichen Eigenheiten betont. Wichtig ist dabei eine enge Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Tourismus, wobei, so Franziska Grossenbacher von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL), auch historische Gegebenheiten berücksichtigt werden sollten.
Ziel sei es, den Charakter einer Kulturlandschaft zu erhalten, auch wenn sich die Landwirtschaft ändere. Sie erwähnt alte Trockenmauern, Kastanienselven oder die Suonen, historischen Bewässerungskanäle des Wallis, wie eine davon auch auf der neuen Hunderternote abgebildet ist. Es gehe nicht darum, die Schweiz als grosses Freilichtmuseum zu präsentieren, doch die Spuren früherer Epochen sollten gewissermassen als Archiv der Geschichte erhalten bleiben
Verschiedene Akteure müssen eng zusammenarbeiten
Einig sind sich alle Beteiligten, dass sich der Bergtourismus neu positionieren müsse, um weiterhin seine Rolle als Wirtschaftsmotor der Berggebiete erfüllen zu können, und, so STV-Direktorin Barbara Gisi und Thomas Egger von der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete (SAB) im Vorwort zu ihren "12 Thesen zur Zukunft des Tourismus in den Berggebieten": "Die Trendwende kann nur gelingen, wenn die verschiedenen Akteure eng zusammenarbeiten."
Im verstärkten internationalen Wettbewerb sei es ausserdem wichtig, so SAB-Direktor Thomas Egger, sich zu grösseren Destinationen zusammenzuschliessen: "Der Gast aus Japan entscheidet sich nicht für eine Reise ins Hotel Rössli in XY, sondern für eine Reise in die Schweiz. Tirol hat es vorgemacht, Kantone wie Graubünden und Wallis ziehen nach.
Zum Beispiel Glarus und Graubünden
"Für Graubünden", sagt Luzi Bürkli von "Graubünden Ferien", "sind die vielfältigen Kulturlandschaften für den Bergtourismus existenziell und ein Bündner Tourismus ist ohne die Berglandwirtschaft kaum vorstellbar." Neben den vielfältigen Übernachtungsmöglichkeiten auf Bauernhöfen oder in Jurten auf Alpweiden erwähnt Bürkli die zahlreichen gastronomischen Angebote, zu denen auch Swisstavolata gehört, die traditionelle Landfrauenküche bei Bäuerinnen und Winzerinnen zuhause.
Erlebnisse wie etwa Lama- und Geisstreckings oder Genusswanderungen ergänzen das vielfältige Angebot. Allen Interessierten, so Bürkli, stehe mit der Geschäftsstelle Agrotourismus Graubünden eine zentrale und unabhängige Anlaufstelle zur Verfügung.
Im Kanton Glarus ist die Zusammenarbeit zwischen der Landwirtschaft und den Touristik-Anbietern vor vier Jahren angelaufen, so Fritz Waldvogel, Präsident des Glarner Bauernverbands. Zu erwähnen wären an dieser Stelle ein "Käseparcours", wo Wanderer und Velofahrer auf verschiedenen Alpen einen Stempel in ihren "Käsepass" machen lassen können. Die jährlichen Alpabfahrten des Viehs werden mit Musik und Festwirtschaft begangen und als nächstes sollen die Höflädeli in den Blickpunkt gerückt werden, so dass sich Touristinnen und Touristen vor der Rückreise mit Souvenirs und Glarner Spezialitäten eindecken können.